https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-impfgegner-rechtsextreme-antisemitismus-1.5362745
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Beinahe von Beginn an wurde zumindest vorgeblich gegen staatliche Schutzmaßnahmen und die COVID-19-Impfung mobilisiert. Auf der Straße fanden sich Esoteriker und Impfgegner neben Rechtsextremen und Verschwörungsideologen. Immer wieder kam es zu Vergleichen mit dem Nationalsozialismus. Jana aus Kassel wähnte sich im Geiste von Sophie Scholl, es wurden Nürnberger Prozesse gefordert und der sogenannte „Judenstern“ wurde so oft im Kontext der Proteste als Symbol einer angeblichen Unterdrückung verwendet, dass von staatlicher Seite reagiert werden musste und die Vergleiche zumindest teilweise als Volksverhetzung eingestuft wurden.1
Wie sehr solche Narrative in der Gesellschaft und insbesondere bei den Protestbereiten verbreitet sind, hat das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) in einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage erhoben. Die Ergebnisse zeigen, dass es sich um ein systematisches Problem handelt, das auch jüngere Menschen betrifft.
https://www.bs-anne-frank.de/revisionismus
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NS-Vergleiche als politisches Instrument
Die NS-Diktatur oder die Schoah als Vergleichsfolie für jedwede Zwecke zu nutzen hat eine lange, unrühmliche Tradition im Umgang mit der deutschen Geschichte. Hinter den Vergleichen stehen dabei unterschiedlichste Intentionen – vom Versuch, ein gegenwärtiges Ereignis besser zu verstehen, über die Schaffung von Aufmerksamkeit bis zur Gleichsetzung mit anderen historischen oder gegenwärtigen Gewalterfahrungen.
Selbstverständlich sind entsprechende Vergleiche nicht grundsätzlich verwerflich oder gar verboten. Gerade im Rechtspopulismus und Rechtsextremismus werden allerdings diese geschichtsrevisionistischen Vergleiche immer wieder eingesetzt, um die Verbrechen im Nationalsozialismus und Antisemitismus insgesamt zu relativieren. Es geht dabei auch um Deutungshoheiten über die Geschichte.2
Die Proteste der vergangenen zwei Jahre, die sich zumindest vorgeblich gegen die staatlichen Coronamaßnahmen richtete, haben nun eine Vielzahl von entsprechenden Bildmotiven, Slogans und Aktionen hervorgebracht, die eine klare politische Motivation erkennen lassen. Hierbei handelt es sich in der Regel nicht um den Versuch, z.B. mittels historischer Vergleiche die gegenwärtigen Coronamaßnahmen besser zu verstehen, sondern um geschmacklose Gleichsetzungen, die die Opfer des NS-Regimes verhöhnen.
Dabei scheint zumindest ein rudimentäres Faktenwissen zum NS und der Schoah vorhanden zu sein, aus dem sich allerdings, wie aus einem Steinbruch, recht wahllos bedient wird. Ohne Rücksicht auf die detailliert erforschten Mechanismen des NS-Regimes und seiner Verbrechen werden Täter, Opfer oder Widerstandskämpfer aus dem Zusammenhang gerissen und verstärken in den Protestmilieus ein hochproblematisches Geschichtsbild.
Dabei führen beispielsweise die Vergleiche von Ärzten und Politikern mit führenden NS-Tätern – wie Christian Drosten mit dem SS-Arzt Josef Mengele – und die dabei mitschwingende Reduzierung von Täterschaft im Holocaust auf einzelne „Monster“ dazu, dass es den Protestierenden deutlich leichter fällt, sich als Opfer einer ebenso unmenschlichen Diktatur in der Gegenwart zu inszenieren. Selbstverständlich passiert dies nicht im luftleeren Raum, sondern muss im Kontext des deutschen Umgangs mit der Vergangenheit gesehen werden, in dem auch nach 80 Jahren eine entsprechend vereinfachte Vorstellung von Täterschaft im Nationalsozialismus weit verbreitet ist. Die in der repräsentativen CeMAS-Studie erhobenen Daten zum Vergleich mit der NS-Diktatur stellen dennoch eine neue und besorgniserregendere Stufe dar.
Daten aus dieser Studie wurden vorher bereits durch CeMAS veröffentlicht. Die Ergebnisse sind einsehbar auf cemas.io.
Daten aus dieser Studie wurden vorher bereits durch CeMAS veröffentlicht. Die Ergebnisse sind einsehbar auf cemas.io.
Die Studienergebnisse: NS-Vergleiche in der deutschen Gesellschaft
Vergleiche hin oder her – sich selbst in einer NS Diktatur zu wähnen geht nochmal einen Schritt weiter.
In dieser Studie wurde eine repräsentative Stichprobe der Deutschen zu ihren Einstellungen und Verhaltensweisen befragt. Der Fokus der Befragung lag u.a. auf Verschwörungserzählungen zur Pandemie sowie Einstellungen zu den eindämmenden Schutzmaßnahmen in der COVID-19-Pandemie. Die Rekrutierung der Teilnehmenden war so geplant, dass die Stichprobe die Verteilung in der Gesamtbevölkerung nach zentralen Parametern wie Alter, Geschlecht und Bundesland widerspiegelt.
An der Befragung, die vom Marktforschungsinstitut Bilendi & respondi online durchgeführt wurde, nahmen in Deutschland 2.202 Personen über 18 Jahre im Zeitraum von 17. Januar 2022 bis 22. Januar 2022 teil. Nach der Datenbereinigung konnten die Daten von in Deutschland 1.970 Personen verwendet werden. Die Befragung erfolgte mittels eines standardisierten Fragebogens, der neben soziodemografischen Angaben zu Geschlecht, Alter, Schulbildung, Einkommen, politischer Einstellung und Angaben zum Impfstatus auch Messinstrumente zur Erfassung politischer und weltanschaulicher Einstellungen, der Verbreitung von Verschwörungserzählungen und des Protestgeschehens enthielt.3
Die Ergebnisse zeigen: Immerhin fast 10% der in der repräsentativen Umfrage von CeMAS befragten Personen stimmen in Deutschland stimmten der Aussage zu, dass „die aktuellen Corona-Maßnahmen und die Politik mit der Zeit des Nationalsozialismus vergleichbar“ seien.
Ein detaillierterer Blick auf die Befragten lässt dabei signifikante Unterschiede erkennen und verdeutlicht, dass sich bestimmte Milieus massiv vom gesellschaftlichen Konsens verabschiedet haben. Wie zu erwarten, sind die Zustimmungswerte zur Frage der Vergleichbarkeit sowohl bei Nicht-Wähler wie auch Anhängerinnen und Anhänger der AfD um ein Vielfaches höher. Bei Letzteren sind diejenigen, die einen Vergleich der Corona-Maßnahmen mit dem Nationalsozialismus ablehnen, sogar deutlich in der Minderheit.
Besorgniserregend ist auch, dass die Zustimmung zu Vergleichen der Coronamaßnahmen mit dem Nationalsozialismus bei jüngeren Menschen signifikant höher ist als bei Älteren. Dies unterstreicht noch einmal, wie wichtig es ist, sich mit der Schoah und den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen.
Die Verbindung zwischen geschichtsrevisionistischen NS-Vergleichen findet sich nicht nur auf der Straße, sondern auch in den Umfrageergebnissen: Diejenigen, die in der Umfrage eine hohe Protestbereitschaft zeigen, stimmen zu 37% zu, dass die Coronamaßnahmen und aktuelle Politik mit dem Nationalsozialismus zu vergleichen sind. Dies ist nicht verwunderlich, wahrscheinlich bedingen sich hier die Vorstellung vom Leben in einer Diktatur und die Bereitschaft dagegen vorzugehen gegenseitig. Vor allem zeigt es aber auch, dass die Zustimmung zu diesem – aus wissenschaftlicher Sicht jeder Grundlage entbehrenden – Vergleich, nicht ungefährlich ist.
Die Vorstellung, dass die eigene Situation in der Gegenwart gleichzusetzen sei mit einer – wie man an den Mengele-Vergleichen sehen kann, als monströs empfundenen – Diktatur, erleichtert es, die Schwelle zu gewalttätigem Protest zu überschreiten. Regelmäßig vergleichen sich deswegen Teilnehmende des Protestmilieus mit Widerstandskämpfer:innen gegen das NS-Regime und sehen entsprechende Handlungen gegen das politische System und die Vertreter dieses Systems als Pflicht an. So wird die historische Gleichsetzung zur Rechtfertigung für das Handeln in der Gegenwart.
Fazit
In den letzten Jahren war die erste Reaktion auf relativierende NS-Vergleiche oft der Ruf nach mehr Bildung. Es fehle an Faktenwissen, nur so könnten entsprechende Vorstellungen in den Köpfen der Menschen entstehen. Nach mehr als zwei Jahren Pandemie kann dies allerdings nicht mehr die einzige Antwort sein. Diese Vergleiche werden in der Regel nicht gezogen, weil die Fakten über die Verbrechen des Holocausts unbekannt sind, sondern weil man sich auf einer Stufe mit ihnen sieht.
Gerade bei denjenigen Personen, bei denen sich Impfverweigerung, Protestbereitschaft, rechtsextremes Wahlverhalten und die Überzeugung, in einer Diktatur zu leben, vereinen, kommt man mit der Vermittlung von Faktenwissen nicht weiter. Die politischen Entscheidungen in der Pandemie werden auf eine Ebene mit dem mörderischen NS-Regime gestellt— mit der Intention genau diese Aussage auch zu tätigen.
Die historisch-politische Bildung bleibt weiterhin ein wichtiger Baustein für die demokratische Praxis und die Erinnerungskultur. Dies wird auch, wie die Umfrageergebnisse zeigen, durch den Umstand verdeutlicht, dass die Zustimmungswerte zu NS-Verharmlosung bei jüngeren Menschen höher sind als bei älteren Befragten. Um Strategien gegen Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus entwickeln zu können, benötigt es historisches Wissen, aber auch Kenntnisse der Codes aus dem rechtsextremen Milieu, das die Geschichte immer wieder umdeuten will.
Gesellschaftlich muss eine klare Position gezogen werden, wenn die Verbrechen der Schoah relativiert und gesellschaftlich immer mehr normalisiert werden.
Das zu verhindern, ist eine grundlegende demokratische Aufgabe.
Steffen Jost ist Programmdirekor bei der Alfred Landecker Foundation.
Pia Lamberty ist Geschäftsführerin bei CeMAS.