Reparationsverhandlungen in Wassenaar
Worin besteht heute, siebzig Jahre nach ihrem Beginn, das Vermächtnis der deutsch-jüdisch-israelischen Verhandlungen von 1952?
Von Lorena De Vita

Illustration von Jens Bonnke

70 Jahre nach den ersten geheimen Gesprächen zwischen deutschen, jüdischen und israelischen Diplomaten blickt Landecker Lecturer Lorena De Vita auf die Geschichte dieses Treffens und die Nachwirkungen des Präzedenzfalls „Wiedergutmachung“, die bis in die Gegenwart reichen.


In seinem Wohnzimmer in Kalifornien erinnert sich Benjamin J. Ferencz, Chefankläger in den Nürnberger Prozessen, an die Anfänge der Verhandlungen zwischen Beauftragten der deutschen und der israelischen Regierung sowie der Jewish Claims Conference. 1952 zählte er zu den Mitgliedern der Claims Conference, die in den Niederlanden über Erstattungen und Entschädigungen zum Ausgleich für erlittenes Leid und Verluste infolge der Verfolgung durch die Nazis verhandelten.

„Es war nicht nur eine Herausforderung, es war eine ungeheure Herausforderung“, sagt Ferencz rund sieben Jahrzehnte nach den Ereignissen. Ich befürchtete, er könne sich nicht mehr an seine Zeit in den Niederlanden erinnern. Meine Sorgen stellten sich als unbegründet heraus.

Trotz seines hohen Alters von 101 Jahren erinnert Ferencz sich noch lebhaft an die Kritik, der er damals ausgesetzt war: „Man fragte mich: Wie bitte? Sie wollen sich mit deutschen Drecksnazis, die unsere ganze Familie ermordet haben, an einen Tisch setzen und mit ihnen über Schadensersatz sprechen?“

Benjamin Ferencz (links, 1952); Bildrechte: United States Holocaust Memorial Museum, mit freundlicher Genehmigung von Benjamin Ferencz

Zwischen März und August 1952 traf sich eine Gruppe, die großteils aus Männern und einigen wenigen Frauen bestand, in Holland, in einer abgelegenen und idyllischen Villa in Wassenaar, in der Nähe von Den Haag. Dort sollten höchst ungewöhnliche Verhandlungen stattfinden – nämlich die weltweit ersten, die Reparationsleistungen für massive Menschenrechtsverletzungen und Völkermord auf internationaler Ebene zum Ziel hatten.

Im März 2022 wird sich der Beginn der Verhandlungen in Wassenaar zum siebzigsten Mal jähren. Heute bestehen zwischen Deutschland und Israel in einer Vielzahl von Bereichen vertrauensvolle Partnerschaften. Diese Entspannung wurde erst durch die deutsche Verpflichtung zur Wiedergutmachung schrittweise möglich. Der analog verwendete hebräische Begriff Shilumim hat interessanterweise keine Konnotation von Versöhnung oder Vergebung.

Am Ende dieser Verhandlungen erklärte sich die Bundesrepublik dazu bereit, Reparationsleistungen in Höhe von drei Milliarden DM zu zahlen, was sich als eine für den jungen Staat wegweisende Entscheidung erweisen sollte. Weitere 450 Millionen DM gingen an die Jewish Claims Conference. Diese Vereinbarung war in vielerlei Hinsicht bahnbrechend.

Nur wenige erinnern sich heute noch daran, wie angespannt die Atmosphäre noch zu Beginn dieser Gespräche war. Nur sieben Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren Verhandlungen über Reparationszahlungen an Juden in Deutschland keineswegs beliebt. Der damalige Finanzminister Fritz Schäffer äußerte etwa lautstarke Kritik. Ehemalige Nazis, die 1952 bereits wieder einflussreiche Positionen innehatten – und davon gab es viele – taten ihr Möglichstes, um die Verhandlungen zu torpedieren.

Doch auch von anderer Seite regte sich Widerstand gegen die Gespräche. Schon bald machten Mitgliedstaaten der Arabischen Liga mobil und drohten Deutschland mit einem Boykott, sollte das Land Reparationszahlungen an Israel beschließen. Auch in Israel selbst stießen die geplanten Gespräche auf starke Ablehnung – ein Gefühl, das viele Juden innerhalb und außerhalb von Europa teilten.

„Das ist der Gipfel der Abscheulichkeit“, rief der spätere israelische Ministerpräsident Menachem Begin im Januar 1952 in der Knesset, dem israelischen Parlament. Noch während der Debatte zu diesem Thema versammelten sich in Jerusalem Tausende von Demonstranten, um gegen die Verhandlungen zu protestieren, und störten die Knesset-Sitzung. „Und so begannen wir mit einem Knall, mit einem Tumult“, erinnert sich Ben Ferencz.

Schloss Oud-Wassenaar (1966); Bildrechte: Fototechnische Dienst Politie Wassenaar/Gemeentearchif Wassenaar

Vor Ort in Wassenaar war die Lage angespannt. Die Unterhändler trafen sich in einem schmalen, langgestreckten Raum im ersten Stock von Schloss Oud-Wassenaar. Sie achteten darauf, einander nicht zu nahe zu kommen und Abstand zu halten – als physisches Zeichen der zwischen ihnen bestehenden Kluft.

Doch dann, so erinnert sich der stellvertretende israelische Delegationsleiter Felix Shinnar in seinen Memoiren, „ließ mir [der deutsche Unterhändler] Küster am zweiten Tag eine Notiz zukommen, in der sinngemäß stand: ‚Ich glaube in ihrem Englisch einen schwäbischen Akzent zu hören. Liege ich damit richtig?‘.

Kurzum, es stellte sich heraus, dass Otto Küster in der Tat richtig lag. Ich bin in Stuttgart geboren, dort zur Schule gegangen ... es hat sich sogar herausgestellt, dass wir dasselbe Gymnasium [und] die gleichen Klassen besucht haben, dieselben Lehrer hatten.“

In den darauffolgenden Tagen maßen sich diese Männer in dem beengten Raum mit ihren Blicken und waren sich darüber im Klaren, dass zwischen ihnen vieles ganz anders gelaufen wäre, wenn Hitler nicht an die Macht gekommen und die deutsche Demokratie nicht zusammengebrochen wäre.

Bundeskanzler Konrad Adenauer bei der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens (1952); Bildrechte: United States Holocaust Memorial Museum
Ministerpräsident Moshe Sharett bei der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens (1952); Bildrechte: United States Holocaust Memorial Museum

Nach monatelangen zähen Verhandlungen wurde ein Abkommen geschlossen, das Geschichte machte. In der Regel werden diese ersten Verhandlungen als Erfolg gewertet – was durchaus verständlich ist. Deutschland hat die versprochenen Zahlungen geleistet und die Vereinbarungen eingehalten. Und der große Wert, der der Vergangenheitsbewältigung auf nationaler und internationaler Ebene in Deutschland zukommt, hat die Nachkriegsgeschichte des Landes stark geprägt.

Aktivisten, die heute Reparationsleistungen fordern, zum Beispiel im Zuge der Black-Lives-Matter-Demonstrationen als Wiedergutmachung für die Sklaverei in den USA, verweisen häufig auf die deutsch-jüdisch-israelischen Gespräche von 1952. Der US-amerikanische Intellektuelle und Aktivist Ta-Nehisi Coates schrieb in seinem Text The Case for Reparations: „Als Westdeutschland 1952 mit der Wiedergutmachung des Holocausts begann, geschah dies unter Bedingungen, die uns als lehrreiches Beispiel dienen sollten“.

Die Verhandlungen stellten einen grundlegenden Wendepunkt im Umgang mit Versöhnungsprozessen nach Völkermorden dar. Bis dahin wurden Reparationen in der Regel zwischen Siegern und Besiegten nach einem Krieg ausgehandelt – und nicht zwischen Vertretern von Tätern und Opfern eines Völkermordes oder von in großem Umfang begangenen Gräueltaten. Das 1952 unterzeichnete Abkommen wurde in den darauffolgenden Jahren erweitert. Bis heute hat Deutschland eines der umfangreichsten Wiedergutmachungsprogramme der Welt für die im Zweiten Weltkrieg und im Holocaust begangenen Verbrechen aufgelegt.

Dass die Verhandlungen von 1952 in Zukunft „den historischen Bezugspunkt für die meisten Reparationsprogramme“ bilden würden, wie es der ehemalige UN-Sonderberichterstatter Pablo De Greiff formulierte, war damals keineswegs ausgemachte Sache. Und dass es möglich war, die Spannungen, die diese erste Erkundung von Wiedergutmachungsmöglichkeiten nach Verbrechen von historischen Dimensionen begleiteten, zu überwinden – oder sie schlicht auszuhalten – macht die deutsch-jüdisch-israelischen Verhandlungen heute umso bedeutsamer.

Dr. Lorena De Vita ist Assistant Professor für Geschichte der internationalen Beziehungen an der Universität Utrecht und Autorin von „Israelpolitik: German-Israeli Relations 1949-1969”. Derzeit leitet sie ein von der Alfred Landecker Foundation finanziertes auf fünf Jahre angelegtes Forschungsprojekt mit dem Titel: „Holocaust-Diplomatie: Die globale Politik des Erinnerns und Vergessens“.

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