Angesichts einer gestiegenen Bedrohungslage durch Desinformation und ihres Polarisierungseffekts entsteht eine angespannte und unsichere gesellschaftliche Situation. Vor allem im Hinblick auf demokratiegefährdende Tendenzen kann ein plötzliches Kippen der Stimmung verheerende Folgen nach sich ziehen. Dies führt dazu, dass es nicht nur zur Ablehnung einzelner politischer Entscheidungen kommen kann, sondern des gesamten politischen Systems und seiner demokratischen Institutionen.
Kippmomente müssen nicht per se schlecht sein, denkt man zum Beispiel an die Verbreitung nachhaltiger Verhaltensweisen. Entscheidend ist, dass beim Erreichen eines Kipppunktes Kaskaden von Meinungsänderungen durch scheinbar geringfügige Ereignisse verursacht werden können.
Der Versuch das Reichstagsgebäude anzugreifen (2020) oder der Sturm auf das US-Kapitol (2021) veranschaulicht die Gleichzeitigkeit demokratiegefährdender Polarisierungsmomente in Deutschland und den Vereinigten Staaten und zeigt, wie wichtig es ist, ein besseres Bild über diese demokratiegefährdenden Tendenzen zu bekommen.
Mit einem innovativen Forschungsdesign werden Kipppunkte simuliert, um die Meinungsbildung und -polarisierung in verschiedenen Populationen zu untersuchen und so (potenzielle) Entwicklungen in realen Gesellschaften darzustellen.
Die Alfred Landecker Foundation unterstützt das KIT und das FZI bei diesem Vorhaben.
Innovatives Forschungsdesign
Die innovative Längsschnittstudie des Social Sentiment in Times of Crises ist ein weltweit erstmals genutzter Ansatz.
Mit repräsentativen Panels wurde kontinuierlich das gesellschaftliche Sentiment abgefragt. Auf sehr einfache und niedrigschwellige Art und Weise wurden über eine App zwischen November 2022 und April 2023 einmal pro Woche dieselben Fragen an die Teilnehmenden gerichtet.
Mit den wöchentlich erhobenen Umfragedaten entstand über den Forschungszeitraum hinweg ein repräsentatives Meinungsbild der deutschen sowie der US-amerikanischen Bevölkerung. Dabei lagen die Schwerpunkte der Studie auf folgende krisenhafte Ereignisse: der Krieg gegen die Ukraine, die Klima- und Energiekrise sowie die Auswirkungen der Verteuerung.
Darüber hinaus wurden von den Forschenden auf zweifache Weise die Daten zum Social Sentiment abgeglichen:
1) News-Event-Monitoring: Erfassung relevanter Nachrichtenartikel durch die Media-Monitoring-Plattform Event Registry. Dies betraf Artikel rund um Ereignisse, die medial stark aufgegriffen und zeitlich in sich abgeschlossen waren. Im Rahmen des Forschungsprojekts ergab sich die Relevanz der Events, wenn diese dem deutsch- bzw. englischsprachigen Raum und den untersuchten Themenschwerpunkten zugeordnet werden konnten.
2) Social-Media-Monitoring: Die relevanten Ereignisse aus dem News-Event-Monitoring wurden mit den Daten („Tweets“) der Plattform Twitter anhand definierter Suchanfragen abgeglichen.
Durch den automatisierten Abgleich der Antworten mit aktuellen Geschehnissen lassen sich Rückschlüsse zwischen den Nachrichten und dem sogenannten Social Sentiment ziehen und zugleich überprüfen, wie repräsentativ Social Media-Debatten verlaufen.
Ein Dashboard soll perspektivisch einen Zugang zu den Umfragedaten herstellen und Hypothesen über den gesellschaftlichen Zustand und potenzielle Gefahren schnell überprüfbar machen.
Wer steht hinter dem Forschungsprojekt?
Das Forschungsprojekt Social Sentiment in Times of Crisis besteht aus einem interdisziplinären Team von Forschenden des FZI Forschungszentrum Informatik und des Karlsruher Institut für Technologie und wird vom FZI Forschungszentrum Informatik geleitet.
Das FZI ist eine unabhängige und gemeinnützige Einrichtung für Informatik-Anwendungsforschung und Technologietransfer, die 1985 vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg und der Universität Karlsruhe (heute KIT) gegründet wurde. 2011 wurde ein Hauptstadtbüro in Berlin eröffnet, um eine engere Zusammenarbeit mit Politik und Zivilgesellschaft zu gewährleisten und die Sichtbarkeit eigener Forschung und Entwicklungen zu stärken. Dort ist auch das House of Participation als Kompetenzzentrum zu Fragen digitaler Demokratie und Partizipation angesiedelt.
Das KIT ist die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft, die in Kooperation mit dem Land Baden-Württemberg betrieben wird. Sie formierte sich in heutiger Form durch den Zusammenschluss der Universität Karlsruhe mit dem Forschungszentrum Karlsruhe im Jahr 2009. Am KIT arbeiten über 9.000 Mitarbeiterinnen und MItarbeiter, mehr als die Hälfte davon in der natur-, ingenieur-, wirtschafts-, geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung.