"Was hat das mit mir zu tun?"
Ein Gespräch mit Harald Stockert über die multimediale Ausstellung im MARCHIVUM


Mit der multimedialen und interaktiven Ausstellung „Was hat das mit mir zu tun?“ setzt das MARCHIVUM in Mannheim Maßstäbe in der zeitgemäßen Erinnerungskultur. Die Dauerausstellung über jüdisches Leben und den Nationalsozialismus in Mannheim behandelt anhand verschiedener Medieninstallationen Themen wie die soziale Gleichschaltung, stadtgeschichtliche Ereignisse und präsentiert individuelle Geschichten von Tätern und Opfern.

Wir sprachen mit Harald Stockert, dem Direktor des MARCHIVUM:

Footnotes
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Herr Stockert, Was macht die Ausstellung so einzigartig?
Harald Stockert: Mit der Ausstellung „Was hat das mit mir zu tun?“ beschreiten wir sowohl inhaltlich wie auch technisch neue Wege. Bewusst gehen wir etwa über die eigentliche Zeit des Nationalsozialismus hinaus, indem wir der Weimarer Zeit einen eigenen Schwerpunkt einräumen und dabei auch zeigen, wie ähnlich diese Epoche in bestimmter Hinsicht unserer Gegenwart war. Und wie mit der Zerstörung dieser Demokratie eine Gesellschaft gleichgeschaltet und zusehends radikalisiert wurde – bis zum Zivilisationsbruch. Schließlich wird auch der schwierige Weg „zurück“ gezeigt, in eine friedliche, offene Gesellschaft.

In der Umsetzung setzen wir ausschließlich auf multimediale Medien und verzichten auf analoge Objekte. Dies ist in dieser konsequenten Form sicherlich ein Alleistellungsmerkmal unserer Ausstellung.

Gibt es Teile der Ausstellung, auf die sie besonders stolz sind?

HS: Wir freuen uns immer zu sehen, wenn Besucherinnen und Besucher bei einem Thema bzw. bei einer Installation hängen bleiben, mehr wissen wollen und dabei die Zeit vergessen. Dies fällt mir immer wieder im Raum zum Jahr 1933 auf. Hier erzählen historische Mannheimerinnen und Mannheimer ihre Geschichte in der Ich-Perspektive, dabei nicht nur ihren Werdegang, sondern auch ihre Gefühle, ihre Hoffnungen und Ängste, inszeniert als multimedialer Film.

Wie reagieren die Besucher auf die immersive Ausstellung?

HS: Ausgesprochen positiv. Wenn man den Rückmeldungen folgt, so fühlen sie sich direkt angesprochen, hineingezogen in die Zeit. Auch emotionalisiert. Dadurch wächst das Verständnis wie auch die Sensibilität für Kipppunkte, zu erkennen bzw. zu fühlen, wann eine Entwicklung in die falsche Richtung geht.

Beobachten Sie Unterschiede im Umgang mit dem Thema Nationalsozialismus bei den unterschiedlichen Generationen, die die Ausstellung besuchen?

HS: Für jüngere Menschen ist die Zeit des Nationalsozialismus eine ferne Epoche, mit der sie zunächst wenig mehr als das verbinden, was in der Schule gelehrt wird. Unser Ziel ist es, hier anzuknüpfen, zu schärfen, das häufig eher abstrakt Gelernte in einen lokalen, vertrauteren Bezugsrahmen – sprich in Mannheim – zu verorten. Die Älteren gehen mit einem anderen Vorwissen und Erfahrungsschatz in die Ausstellung. Viele kennen noch Erzählungen aus der Elterngeneration über die Zeit des Nationalsozialismus und finden so rasch persönliche Anknüpfungspunkte. Sie können bereits mehr einordnen und reflektieren – was jedoch nicht ausschließt, dass auch immer wieder eigene oder tradierte Gefühle und Erinnerungen durch die Ausstellung aktiviert werden.

Wie kontextualisieren Sie die Ausstellung mit aktuellen Geschehnissen, wie schaffen Sie die Anbindung an die Gegenwart?

HS: Wir verzichten bewusst auf eine allzu offene Direktverknüpfung der Geschichte mit unserer Gegenwart. Stattdessen versuchen wir – abstrakt gesprochen - gesellschaftliche Mechanismen darzustellen. Was passiert etwa mit einer Gesellschaft, die polarisiert wird, in der rigoros Zugehörige und Außenstehende definiert und mit einem Freund-Feind-Schema unterlegt werden? Wie kommt es zu gesellschaftlichen Entgrenzungen, Radikalisierungen bis hin zum Zivilisationsbruch? Wo bleiben Handlungsoptionen des Individuums? Wie fragil sind Werte einer demokratischen Gesellschaft, wie muss um sie immer wieder aufs Neue gerungen werden? Letztlich: Was hat das mit mir zu tun?

Footnotes
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Dr. Harald Stockert ist Historiker und Archivar. Ab 2001 war er zunächst Archivar beim Stadtarchiv Mannheim – Institut für Stadtgeschichte, später wurde er stellvertretender Institutsleiter und war maßgeblich an der Transformation des Stadtarchivs in das heute bekannte MARCHIVUM beteiligt. Im August 2023 trat er Direktor des Hauses die Nachfolge von Ulrich Nieß an.

Über das MARCHIVUM
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Das MARCHIVUM ist Mannheims Archiv, Haus der Stadtgeschichte und Erinnerung. Es ist aus dem Stadtarchiv Mannheim – Institut für Stadtgeschichte 2018 hervorgegangen. Dieser Name drückt das Selbstverständnis der Institution aus, die sich zu ihrer Tradition bekennt und zugleich neuen Entwicklungen offen steht.

Unsere Themen

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