Ein Jahr Hinweisgeberschutzgesetz:
Fortschritte und Herausforderungen

Illustration: Jens Bonnke

Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) feiert am 2. Juli 2024 sein einjähriges Bestehen. Dieses Gesetz, das die EU-Whistleblower-Richtlinie von 2019 umsetzt, soll Whistleblower (im Gesetz: Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber) schützen und sicherstellen, dass Missstände innerhalb von Organisationen aufgedeckt und behoben werden. Doch wie gut hat das Gesetz in seinem ersten Jahr funktioniert?

Das von der Alfred Landecker Foundation geförderte Projekt „Mach Meldung! Starke Stimmen für die Polizei“ hat im Frühjahr 2024 eine Studie veröffentlicht, die Antworten gibt. Die Ergebnisse bieten interessante Einblicke in die Wirkung des Gesetzes und die Herausforderungen, die weiterhin bestehen.

Footnotes
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Überblick über das Hinweisgeberschutzgesetz

Das Hinweisgeberschutzgesetz wurde eingeführt, um Personen zu schützen, die Verstöße gegen bestimmte nationale und europarechtliche Rechtsnormen melden. Am relevantesten sind dabei Straftaten, aber auch andere Verstöße, wie zum Beispiel im Bereich des Datenschutzes.

Das HinSchG verpflichtet Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten sowie öffentliche Beschäftigungsgeber, interne Meldestellen einzurichten, damit Beschäftige strafrechtlich relevante Missstände schnell und unkompliziert melden können. Zudem sollen Hinweisgebende, wenn sie Probleme gemeldet haben, vor Vergeltungsmaßnahmen wie Kündigung oder Mobbing geschützt werden. Neben den internen hat der Staat auch externe Meldestellen geschaffen. An die können sich Hinweisgebende wenden, wenn sie den internen Kanälen misstrauen oder bereits schlechte Erfahrungen gemacht haben.

Hinweisgeberschutz und Polizei?

Gerade in der Polizei ist der Hinweisgeberschutz von entscheidender Bedeutung, um die Rechtsstaatlichkeit sicherzustellen. Die Polizei hat weitreichende Befugnisse, die tief in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Effektiver Hinweisgeberschutz hilft den Missbrauch dieser Befugnisse zu verhindern und stärkt das Vertrauen in den Rechtsstaat. Außerdem fördert er die Transparenz innerhalb der Polizei, indem interne Missstände, Fehlverhalten und Korruption aufgedeckt und bekämpft werden.

Berichte über rassistische, sexistische, rechtsextreme oder antisemitische Vorfälle innerhalb der Polizei, die viel Medienaufmerksamkeit nach sich gezogen haben, verdeutlichen die dringende Notwendigkeit für Transparenz und Kontrollen. Hinweisgebende spielen dabei eine entscheidende Rolle. Ohne angemessenen Schutz riskieren sie diskriminiert, gemobbt und sogar gekündigt zu werden. Ein effektiver Hinweisgeberschutz gewährleistet, dass diese Personen sicher und ohne Angst vor Repressalien Missstände melden können.

Der Schutz von Hinweisgebenden trägt zu einer offenen und ehrlichen Kultur innerhalb der Polizei bei, in der Fehlverhalten nicht toleriert, sondern aktiv bekämpft wird. Dies kann die Polizeikultur insgesamt verbessern. Ein transparenter und integrer Polizeiapparat stärkt das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei und deren Fähigkeit, ihre Aufgaben gerecht und rechtmäßig zu erfüllen.

Erstmals Zahlen und Fakten zu Whistleblowing in der Polizei

Das Projekt "Mach Meldung! Starke Stimmen für die Polizei" hat 2024 eine Studie in Auftrag gegeben, in der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte dazu befragt wurden, wie sie zum Thema Whistleblowing und dem neuen Gesetz stehen. Die Studie wurde von Verian Deutschland durchgeführt und befragte zwischen dem 24. Januar und dem 6. Februar 2024 insgesamt 558 Polizeibeamte auf Bundes- und Länderebene.

Wesentliche Ergebnisse der Studie:

- Informationsdefizite: 73% der befragten Polizistinnen und Polizisten gaben an, trotz der gesetzlichen Pflicht nicht von ihren Dienstherren über das Hinweisgeberschutzgesetz informiert worden zu sein. 52% der Befragten wünschten sich mehr Informationen zum Gesetz und den verfügbaren Meldestellen.

- Einschätzung des Gesetzes: Nur 19% der Befragten sind der Meinung, dass das HinSchG „eher in die falsche Richtung“ geht. Dies zeigt, dass das Gesetz grundsätzlich positiv aufgenommen wird, auch wenn es in der Umsetzung noch Herausforderungen gibt.

- Notwendigkeit vertraulicher Meldewege: Die Mehrheit (62%) sieht die Notwendigkeit für vertrauliche Meldewege und Ansprechstellen für Fehlverhalten außerhalb des Dienstwegs, um bei einer Meldung besser geschützt zu sein.

- Hindernisse bei der Meldung von Fehlverhalten: Die größten Hindernisse für das Melden von Fehlverhalten sind die Angst vor negativen Reaktionen im Kollegium (55%) und die Angst vor der Konfrontation mit den sich fehlverhaltenden Kolleginnen und Kollegen (48%). Auch die Loyalität gegenüber Kolleginnen und Kollegen und der Institution Polizei (47%) sowie die Angst vor negativen Konsequenzen für die berufliche Laufbahn (42%) spielen eine große Rolle.

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Herausforderungen

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass trotz des bestehenden Hinweisgeberschutzgesetzes erhebliche Informationsdefizite und Ängste unter den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten bestehen. Es gibt mehrere Bereiche, die verbessert werden müssen:

1. Verbesserte Kommunikation und Schulung: Es muss sichergestellt werden, dass alle Polizistinnen und Polizisten umfassend über das HinSchG und die verfügbaren Meldewege informiert sind. Dies erfordert gezielte Schulungs- und Informationskampagnen.

2. Stärkung der Anlaufstellen: Vertrauliche sowie anonymer Meldewege aufzubauen und zu stärken ist essenziell, um das Vertrauen der Beamtinnen und Beamten in das Meldesystem zu erhöhen. Meldestellen, die unabhängig arbeiten, können dazu beitragen, die Meldebereitschaft zu erhöhen.

3. Kulturwandel innerhalb der Polizei: Um die Ängste vor negativen Reaktionen und beruflichen Nachteilen zu verringern, braucht es einen offenen, verbesserungsorientierten Umgang mit Fehlern in der Polizei. Hier muss eine offen gelebte Fehlerkultur gefördert und vorgelebt werden: Whistleblowing verbessert das Dienstumfeld und beschmutzt es nicht.

4. Rechtliche Anpassungen: Das Gesetz muss angepasst werden, um den Schutz der Hinweisgebenden weiter zu stärken und sicherzustellen, dass Meldungen aller relevanten Fälle von Missständen geschützt sind. Besonders im Bereich der Sicherheitsbehörden müssen auch Meldungen, die einer Geheimhaltungsstufe unterliegen (sogenannte „Verschlusssachen“) zumindest intern möglich sein. Diese sind bisher vom Gesetz fast komplett ausgenommen.

Lösungsansätze

Die Studie verdeutlicht, dass für eine praktische Umsetzung des Hinweisgeberschutzes noch erhebliche Herausforderungen bestehen. Beamtinnen und Beamte müssen zuerst informiert sein, damit sie Ängste und Loyalitätskonflikte überwinden können. Dabei brauchen sie Unterstützung.

Projekte wie „Mach Meldung! Starke Stimmen für die Polizei“ setzen hier an und helfen. Im Rahmen des Projekts halten Expertinnen und Experten mit hoher Lehrerfahrung Schulungen an Polizeihochschulen sowie -dienststellen und erreichen so die Polizistinnen und Polizisten persönlich. Das Projekt hat außerdem ein Informationsportal eingerichtet. Dort können sich Polizistinnen und Polizisten über den Hinweisgeberschutz informieren und finden mit dem „Meldestellenfinder“ eine einzigartige Sammlung von Anlaufstellen für die Meldung von Missständen (auch außerhalb des Hinweisgeberschutzgesetzes). Hier können sie niedrigschwellig und dienstherrenspezifisch passende Anlaufstelle finden und bei Unterstützungsbedarf auch Kontakt zum Projektteam aufnehmen.

Durch solche Angebote sind polizeiliche Hinweisgebende nicht mehr auf die Informationen ihres Dienstherren angewiesen und werden auch extern bestärkt, sich innerhalb ihrer Behörde für den Rechtsstaat stark zu machen. Auch kann dadurch das Thema enttabuisiert werden.

Fazit

Das Hinweisgeberschutzgesetz hat in seinem ersten Jahr wichtige Fortschritte erzielt. Für einen wirksamen Schutz von Hinweisgebenden sind aber noch weitere Schritte notwendig. Die Studie verdeutlicht, dass Informationsdefizite beseitigt und vertrauliche Meldewege gestärkt werden müssen, um einen Kulturwandel innerhalb der Polizei herbeizuführen. Projekte wie „Mach Meldung! Starke Stimmen für die Polizei“ können hierbei eine entscheidende Rolle spielen, indem sie durch Schulungen und Informationsangebote direkt auf die Bedürfnisse der Polizistinnen und Polizisten eingehen und den Hinweisgeberschutz nachhaltig stärken. Nur so kann langfristig ein Umfeld entstehen, in dem Transparenz und Rechtstaatlichkeit gesichert und Missstände effektiv bekämpft werden.

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Zur Autorin:
Laura Kuttler
ist Juristin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. und leitet gemeinsam mit Franziska Görlitz das Projekt „Mach Meldung! Starke Stimmen für die Polizei“ (www.mach-meldung.org). Das Projekt unterstützt Polizistinnen und Polizisten, die Unrecht im Dienst erleben und nicht schweigen wollen. Davor war sie als Fachlehrerin für Einsatz- und öffentliches Dienstrecht im Aus- und Fortbildungszentrum der Bundespolizei tätig.

Die Alfred Landecker Foundation unterstützt das Projekt „Mach Meldung! Starke Stimmen für die Polizei“ seit Beginn.

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