Exzellenter investigativer Journalismus, wie der von Forbidden Stories, zusammen mit einer Allianz von Zeitungen, zeigt in eindringlichen Details, was wir schon seit Langem über die Desinformationsindustrie wissen. Wir können nur hoffen, dass die Enthüllungen Jorge etwas von seiner Handlungsfähigkeit nehmen und einen Impuls für sinnvolle Maßnahmen geben werden. Doch auch wenn die Versuchung groß ist, ist es wichtig, nicht auf Biegen und Brechen Desinformationskampagnen und Software-Söldnern hinterherzujagen. Vielmehr müssen wir uns eine ehrgeizige Agenda setzen und den Desinformateuren mit koordinierten Maßnahmen und einem gesamtgesellschaftlichen Wandel den Nährboden entziehen.
1) Man kann nicht managen, was man nicht messen kann. Wir brauchen eine gemeinsame Sprache, um Daten und Analysen über Desinformation auszutauschen und Maßnahmen in großem Maßstab zu koordinieren. Das erfordert gemeinsame Definitionen von Taktiken und Bedrohungen in einer Gemeinschaft von Akteuren, die gegen Desinformation kämpfen. Wenn Kommunikation und Fehlinformation von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren als Waffe eingesetzt wird, muss die Bekämpfung dieser Waffen entsprechend ausgerichtet sein. Um die eigenen Werte in einem Informationskrieg zu verteidigen, braucht man die richtige Ausrüstung und die passenden Kommunikationssysteme. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, denn die Cybersicherheitsbranche hat das Problem bereits in Angriff genommen. Aus diesem Grund wendet das Open Source DISARM Foundation Framework für die Verhaltensweisen von Disinformationen Methoden und Werkzeuge der Cybersicherheit an. Dies ist ein entscheidender Schritt, denn ohne den Austausch und die Koordinierung von Daten wären wir dazu verdammt, nur einzelne Beobachtungen zu machen, ohne wirksame Maßnahmen zu ergreifen - wir würden "das Problem bewundern" (Pablo Breuer, Ph.D.), anstatt es zu lösen. Sobald die gemeinsame Nutzung von Analysen und die Koordinierung möglich und skalierbar ist, ergeben sich neue Möglichkeiten. Der Europäische Auswärtige Dienst, das Europäische Exzellenzzentrum für die Bekämpfung hybrider Bedrohungen und die Agentur der Europäischen Union für Cybersicherheit (ENISA) haben in dieser Hinsicht hervorragende Arbeit geleistet. Die jüngste Berichterstattung über #TeamJorge veranschaulicht auf nützliche Weise, wie Cyberangriffe Desinformations- und Beeinflussungskampagnen antreiben und mit ihnen kombiniert werden - es ist richtig, dieselben Cybersicherheitsansätze und -instrumente zu verwenden, um diese zu bekämpfen. Die Zusammenarbeit mit Partnern wie der Alfred Landecker Foundation, Public Democracy und MITRE hat diesen Ansatz vorangebracht.
2) Wenn die Instrumente für die Koordinierung vorhanden sind, ist es von entscheidender Bedeutung, sie an die Gemeinschaft von Akteuren weiterzugeben, die sich für die Demokratie einsetzen - Organisationen der Zivilgesellschaft, Menschenrechtsverteidigern, Kommunikatoren, Aktivisten, Journalisten, Anwälten, Unternehmen, die Verantwortung für die gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer Arbeit übernehmen. Strategische Kommunikation, wirksame Kampagnen in Echtzeit und greifbare Maßnahmen gegen Desinformation haben eine weitreichende, reale und systemrelevante Wirkung. Vergleichen wir etwa die Erfahrungen mit zwei russischen Invasionen in der Ukraine, eine im Jahr 2014 und eine im Jahr 2022 – bei der ersten war die russische Regierung mit ihren Desinformationskampagnen erfolgreich, die internationale Gemeinschaft hat nicht gehandelt. Im zweiten Fall haben die Ukrainerinnen und Ukrainern die Desinformation des Kremls nach Europa und gegenüber dem englischsprachigen Publikum wirksam bekämpft. Zumindest ist die Aufmerksamkeit für pro-russische Desinformationsangriffe viel größer und damit auch die Reaktionen viel koordinierter.
3) Wir müssen umgehend Maßnahmen ergreifen, um Desinformation langfristig zu bekämpfen - was auch eine langfristige Finanzierung erfordert. Dies ist eine Voraussetzung dafür, das Niveau der öffentlichen Debatte insgesamt anzuheben und sicherzustellen, dass unsere Gesellschaft demokratische Entscheidungen durch einen Diskurs über die Realität und nicht über Fiktion treffen kann, wir brauchen Medienkompetenz und staatsbürgerliche Bildung als Impfstoff gegen Autoritarismus und Desinformation. Da künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch ist, kommt es vor allem auf die menschliche Kreativität und das Verständnis an - Bildung ist der Schlüssel in allen Lebensbereichen und Lebensphasen, in der Schule und außerhalb der Schule. Aus diesem Grund sind Projekte wie „Public Editor“ so entscheidend wichtig. Wo Taktik und Gegenmaßnahmen ein Instrument gegen Desinformation sind, ist Medienerziehung der eigentliche Schlüssel zum Erfolg, sagt Dr. Nicholas Brigham Adams von Public Editor (ein Projekt von Goodly Labs und dem Berkeley Institute for Data Science).
4) Unser digitales Ökosystem muss sich ändern. Das ist nur möglich, wenn wir unsere Gesetzgebung entsprechend anpassen, sodass demokratische Werte, Menschenrechte und das Gemeinwohl im Mittelpunkt der Nutzung dieser Technologien stehen. Hier kann Europa eine Vorreiterrolle einnehmen und tut dies auch häufig. Aber diese Gesetzgebung ist unglaublich komplex und steckt voller unerwarteter Dilemmata, Kompromisse und Paradoxien. Verschiedene Akteure und unterschiedliche Sichtweisen müssen sich an einen Tisch setzen, um ehrgeizige und zugleich wirksame Ergebnisse zu erzielen, die auch wirklich zu den gewünschten Resultaten führen. Und wenn die Rechtsvorschriften erst einmal verabschiedet sind, müssen sie auch ordnungsgemäß durchgesetzt werden. Und um sich für die Gesetzgebung einzusetzen und sie zu gestalten, braucht man ein gemeinsames Verständnis des Problems und wirksame Instrumente für Kampagnen und Kommunikation - siehe Punkt 1 und 2.
5) Damit der Wandel nachhaltig und umfassend ist, brauchen wir neue Wege zur Nutzung des digitalen Raums. Wir müssen neue Geschäftsmodelle entwickeln, den öffentlichen Raum neu gestalten und ganz neue Ideen entwickeln, wie die Technologie funktionieren und welche Werte sie liefern sollte. Aber das geschieht nicht von allein. Es erfordert echte Investitionen aus dem öffentlichen und privaten Sektor, Initiativen von gemeinnützigen Organisationen und Bildungseinrichtungen zur Förderung von Innovationen sowie geeignete Rechtsgrundlagen. Humane und auf den Menschen ausgerichtete, wertebasierte Technologien müssen skalierbar sein, damit sie unsere Realität zum Besseren verändern können.
Diese Schritte sind miteinander verknüpft, und vor allem können sie nur durch Zusammenarbeit und gemeinsames Handeln in allen Teilen der Gesellschaft erreicht werden. Desinformateure sind immer noch um ein Vielfaches besser ausgestattet als diejenigen, die die Demokratie verteidigen. Aber wenn sich die Verfechter der Demokratie zusammentun, haben sie einen exponentiell größeren Einfluss auf Transformation.
Alliance4Europe ist ein gemeinnütziger Innovator, der digitale Nachrichtenverarbeitung für die Demokratie bereitstellt, Gemeinschaften für entsprechendes Handeln bildet und sich für eine wirksame zivilgesellschaftliche Technologie einsetzt. Die DISARM-Foundation wurde gegründet, um eine von der Community geleitete und von den Stakeholdern definierte Verwaltung des Open-Source-Frameworks zu ermöglichen, auf dem DISARM basiert. Die Alfred Landecker Foundation unterstützt Alliance4Europe, um die Weiterentwicklung und Förderung des DISARM Frameworks zu ermöglichen. Das Ziel des DISARM-Projekts (Disinformation Analysis and Risk Management) mit Alliance4Europe ist es, eine gemeinsame Sprache gegen Desinformation, Fehlinformation und Einflussnahme zu schaffen.