Die COVID-19 Pandemie hat eindrücklich vor Augen geführt, dass Falsch- und Desinformation, aber auch Verschwörungserzählungen gesellschaftliche Herausforderungen sind, die das Management von Krisen und Katastrophen, aber auch das soziale Miteinander negativ beeinträchtigen können. Diese Faktoren werden auch nach der Pandemie nicht verschwinden. Deswegen ist es unerlässlich, Strategien im Umgang mit ihnen zu entwickeln.
Verschwörungserzählungen und die COVID-19 Pandemie
COSMO – das COVID-19 Snapshot Monitoring - erhebt seit Beginn der Pandemie Einstellungen und Verhaltensweisen innerhalb der deutschen Bevölkerung. Im Rahmen dieser Befragungen wird auch gemessen, wie stark Menschen während der Pandemie an Verschwörungen glauben. Dazu werden immer wieder zwei sich logisch ausschließende Narrative abgefragt: Die Pandemie sei ein Schwindel („Experten täuschen uns absichtlich und zu ihrem eigenen Vorteil, obwohl das Virus eigentlich nicht schlimmer ist als eine Grippe“) und Corona sei menschengemacht („Corona wurde absichtlich in die Welt gebracht, um die Bevölkerungsanzahl zu reduzieren.“ Betsch et al., 2020).
Die Daten zeigen, dass sich die Zustimmung insgesamt bei knapp über 20% bis 30% in der Bevölkerung bewegt. Besonders auffällig sind hier zwei Effekte: Ein Anteil von etwa 10 Prozent stimmt beiden Narrativen gleichzeitig zu, obwohl diese sich eigentlich logisch ausschließen. Dies ist ein Befund, der sich in der Psychologie immer wieder zeigt. Was erst irrational scheinen mag, ist eher ein Indiz für eine stabile Weltsicht: Wer stark an Verschwörungen glaubt, denkt: Es kann nicht so sein, wie „die“ es mir erzählen (Wood, Douglas, & Sutton, 2012). Eine weitere Erkenntnis aus dieser Forschung: Selbst nach mehr als einem Jahr in der Pandemie, in der laut RKI allein in Deutschland über 90.000 Menschen an der Viruserkrankung gestorben sind, zweifelt mehr als jede/r Fünfte in Deutschland, ob es die Viruserkrankung überhaupt gibt, oder sie nicht absichtlich als gefährlich dargestellt werden würde, um die Bevölkerung in die Irre zu führen.
Diese Ergebnisse überraschen allerdings kaum, wenn man sie mit Erkenntnissen aus der Zeit vor der Pandemie vergleicht. Aus den USA ist bekannt, dass jede/r zweite US-Amerikaner/in an mindestens eine Verschwörungserzählung glaubt (Oliver & Wood, 2014). Die sog. Mitte-Studie kam 2019 zu dem Ergebnis, dass jede dritte Person in Deutschland eine Affinität zum Verschwörungsdenken aufweist (Rees & Lamberty, 2019). Genauso wenig, wie der Glaube an Verschwörungen also ein reines Produkt der Pandemie war, genauso wenig wird er nach Bewältigung dieser wieder einfach verschwinden.
Verschwörungserzählungen als Gefahr für eine demokratische Gesellschaft?
Man könnte nun meinen, dass der Glaube an Verschwörungen nur eine andere Form von Fehlwahrnehmungen sei, der Menschen unterliegen. Wir alle haben bereits einmal Dinge geglaubt, die falsch sind. Kognitive Verzerrungen sind in der Psychologie breit untersucht und Teil unseres Alltages. Dieses Argument ignoriert allerdings, dass es mittlerweile eine Vielzahl an Forschungen gibt, welche klar aufzeigen, dass der Verschwörungsglaube mit gesellschaftlichen Kosten einhergeht. Wer überall geheime Mächte am Werk sieht, zieht sich aus demokratischen Prozessen zurück und sucht sich stattdessen Alternativen (Imhoff, Dieterle, & Lamberty, 2021). Je stärker der Verschwörungsglaube, desto eher befürworten Menschen auch Gewalt, um ihre (politischen) Ziele durchzusetzen (Rees & Lamberty, 2019). Antisemitismus ist inhärent mit Verschwörungserzählungen verwoben (Kofta, Soral, & Bilewicz, 2020). Das zeigt sich auch in antisemitischen Vorfällen, die während der Pandemie noch einmal zugenommen haben. Wer eine ausgeprägte Tendenz hat, an Verschwörungen zu glauben, sieht all diejenigen, die als mächtig markiert werden, als Feindbild an. Das können Regierungen genauso sein wie Gesundheitsinstitutionen oder die Presse. Während der sog. Proteste gegen die staatlichen Coronamaßnahmen aus dem verschwörungsideologischen und rechtsextremen Spektrum kam es zu so einer Vielzahl an Übergriffen auf Medienvertreter, dass das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) vor einer Gefährdung der Pressefreiheit in Deutschland warnte.
Auch das Management der COVID-19 Pandemie wird durch Falschinformationen und Verschwörungserzählungen erschwert. Verschiedene Studien können zeigen, dass der Glaube an Verschwörungen mit einer reduzierten Bereitschaft einhergeht, den Maßnahmen im Umgang mit der Pandemie zu folgen und sich impfen zu lassen (Imhoff & Lamberty, 2020). Dies ist besonders problematisch, wenn man bedenkt, wie hoch die Zustimmungsquoten zu Verschwörungserzählungen in der Gesellschaft sind. Zusätzlich zeigt Forschung, dass selbst Menschen, die nicht an Verschwörungen glauben, durch die Konfrontation mit verschwörungsideologischen Inhalten in ihren Impfentscheidungen verunsichert werden können (Jolley & Douglas, 2014).
In der Pandemie wurde insbesondere der Messengerdienst Telegram zur zentralen Plattform für verschwörungsideologische und rechtsextreme Akteurinnen und Akteure. Über Telegram vernetzte sich das Milieu und organisierte nicht nur Demonstrationen, sondern auch lokale Flyer-Aktionen mit Desinformationen zur Pandemie und Impfungen. Auch gefälschte Impfausweise wurden über Telegram verkauft, wie eine Recherche von CeMAS offenlegte. Es wurde über Einzelpersonen und Institutionen gehetzt (z.B. Virologen & Wissenschaftler, aber auch einzelne Jüdinnen und Juden) und zur Gewalt aufgerufen. Immer wieder werden geschichtsrevisionistische Vergleiche bedient, bei denen behauptet wird, dass insbesondere Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Gesundheitsbereich und der Wissenschaft sich bei „Tribunalen“ oder einem „Nürnberg 2.0“ verantworten werden müssten. Das Unternehmen Telegram selbst löscht dabei so gut wie keine Inhalte und bietet daher nach wie vor die ideale Plattform für Kriminelle und Terroristen weltweit.
Literatur
Betsch, C., Wieler, L., Bosnjak, M., Ramharter, M., Stollorz, V., Omer, S., Korn, L., Sprengholz, P., Felgendreff, L., Eitze, S., Schmid, P. (2020). Germany COVID-19 Snapshot Monitoring (COSMO Germany): Monitoring knowledge, risk perceptions, preventive behaviours, and public trust in the current coronavirus outbreak in Germany, http://dx.doi.org/10.23668/psycharchives.2776
Douglas, K. M., Sutton, R. M., & Cichocka, A. (2017). The psychology of conspiracy theories. Current directions in psychological science, 26(6), 538-542.
Imhoff, R., & Lamberty, P. (2020). A bioweapon or a hoax? The link between distinct conspiracy beliefs about the Coronavirus disease (COVID-19) outbreak and pandemic behavior. Social Psychological and Personality Science, 11(8), 1110-1118.
Imhoff, R., Dieterle, L., & Lamberty, P. (2021). Resolving the puzzle of conspiracy worldview and political activism: Belief in secret plots decreases normative but increases nonnormative political engagement. Social Psychological and Personality Science, 12(1), 71-79.
Jolley, D., & Douglas, K. M. (2014). The effects of anti-vaccine conspiracy theories on vaccination intentions. PloS one, 9(2), e89177.
Kofta, M., Soral, W., & Bilewicz, M. (2020). What breeds conspiracy antisemitism? The role of political uncontrollability and uncertainty in the belief in Jewish conspiracy. Journal of Personality and Social Psychology, 118(5), 900.
Lamberty, P., & Imhoff, R. (2018). Powerful pharma and its marginalized alternatives?. Social Psychology.
Lamberty, P., & Imhoff, R. (2021). Verschwörungserzählungen im Kontext der Coronapandemie. Psychotherapeut, 1-5.
Oliver, J. E., & Wood, T. J. (2014). Conspiracy theories and the paranoid style (s) of mass opinion. American Journal of Political Science, 58(4), 952-966.
Rees, J., & Lamberty, P. (2019). Mitreißende Wahrheiten: Verschwörungsmythen als Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In Verlorene Mitte-Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19.
Wood, M. J., Douglas, K. M., & Sutton, R. M. (2012). Dead and alive: Beliefs in contradictory conspiracy theories. Social psychological and personality science, 3(6), 767-773.
Literatur
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Gesellschaftlicher Umgang mit Verschwörungserzählungen
Für Gesellschaften bietet der Umgang mit Verschwörungserzählungen ebenso eine Herausforderung wie der Umgang mit populistischen Bewegungen. Während es für den individuellen Umgang mittlerweile mehr und mehr Beratungsstrukturen in Deutschland gibt, existiert auf gesellschaftlicher Ebene noch kaum Handlungsstrategien. Der Umgang mit Desinformation und Verschwörungserzählungen sind dabei eine wichtige Säule, insbesondere wenn es um den Umgang mit Krisen oder Katastrophen geht. Dies hat auch die rechtsextreme und verschwörungsideologische Mobilisierung während der Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wieder einmal klar verdeutlicht.
Eine sinnvolle Strategie setzt dabei sowohl online wie offline auf drei Bereiche:
1. Unterstützung von Betroffenen: Sowohl aus dem rechtsextremen als auch aus dem verschwörungsideologischen Milieu heraus findet sich immer wieder Mobilisierung, Drohung und Hetze gegen einzelne Personen. Eine Gesellschaft benötigt hier nicht nur ein adäquates und schnelles Handeln der Sicherheitsbehörden, sondern auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie beispielsweise HateAid die Betroffenen bei ihren Erfahrungen zur Seite stehen. Die Unterstützung von Betroffenen ist aber auch eine Aufgabe eines jeden Einzelnen – sei es in Form von Gegenrede oder durch Meldungen/Anzeigen bei Plattformbetreibern und Polizei.
2. Stärkung der Zivilgesellschaft: Eine aktive Zivilgesellschaft ist ein zentraler Baustein gegen demokratiefeindliche Bestrebungen. Dazu gehört ein Verhandeln von roten Linien. Eine klare Positionierung gegen Antisemitismus oder verschwörungsideologische Inhalte setzt soziale Normen, an denen sich Menschen in ihren Verhalten orientieren. Sie sind damit gerade in den Gruppen, die eine Affinität zum Verschwörungsdenken, aber noch keine voll ausgeprägte Ideologie zeigen, die beste Prävention vor einer weiteren Radikalisierung.
3. Ahndung von Hass und Hetze: Hass und Hetze wurden insbesondere im digitalen Raum lange nicht ernst genommen. Dies hat beispielsweise der Fall Atilla Hildmann in den letzten Monaten noch einmal klar deutlich gemacht. Digitaler Hass zeigt reale Konsequenzen. Diese Erkenntnis setzt sich erst langsam bei Gesellschaft und Sicherheitsbehörden durch.
Fazit und Ausblick
Das Thema Verschwörungserzählungen wird genauso wie Falsch- und Desinformation Gesellschaften weltweit auch nach der Pandemie begleiten und den Umgang mit Konfliktsituationen erschweren – ob im Gesundheitsbereich, bei Wahlen oder Naturkatastrophen. Vor den großen gesellschaftlichen Herausforderungen des Klimanotstandes sind langfristige Strategien nötiger denn je. Insbesondere ob der bereits jetzt zu beobachtenden Instrumentalisierung dieses Themenbereichs. Dies zeigt sich dringlicher denn je.
Pia Lamberty ist gemeinsam mit Josef Holnburger Geschäftsführerin bei CeMAS und forscht als Psychologin seit Jahren dazu, warum Menschen an Verschwörungen glauben und welche Konsequenzen dieses Weltbild mit sich bringt. Ihre Forschung führte sie an die Universitäten in Köln, Mainz und Beer Sheva (Israel). Lamberty verortet sich an der Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft und klärt evidenzbasiert über Verschwörungserzählungen, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus auf. Ihr mit Katharina Nocun im Mai 2020 veröffentlichtes Sachbuch „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ stand auf der Spiegel-Bestsellerliste. Im Jahr 2021 veröffentlichte sie mit Nocun den Ratgeber „True Facts – Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft.“ Sie erhielt 2020 den Bad Herrenalber Akademiepreis für ihre Forschungsarbeiten.
Die Alfred Landecker Foundation ist exklusiver Gründungsförderer von CeMAS und dem dort angesiedelten Landecker re|con project.